Treiben lassen in Kopenhagen
- Horst

- 18. Juli
- 2 Min. Lesezeit
Gestern war meine Fahrraderkundung von Kopenhagen eher so … na ja. Heute sollte es besser laufen. Mein Plan: den Hop‑on-/Hop‑off‑Bus nehmen und die Stadt gemütlich erkunden. Gesagt, getan – dachte ich jedenfalls. Ich suchte mir eine Station aus, wollte erst einmal zu Fuß hinlaufen. Aber schon nach den ersten Schritten merkte ich: Dieser Tag hat seinen eigenen Plan.
DäneN LiebeN Stufen
Auf dem Weg fiel mir wieder diese Kirche ins Auge, deren Turm sich wie ein riesiger Korkenzieher in den Himmel windet. Schon von Weitem ist er kaum zu übersehen. Kurz kam die übliche Diskussion in meinem Kopf auf: Höhenangst gegen Abenteuerlust. Die Abenteuerlust gewann – und zack, das Ticket war online gebucht.
Um 10:30 Uhr war es so weit. Stufe für Stufe, Schritt für Schritt, höher und höher, bis ich an der Spitze stand – an dem Punkt, wo der Korkenzieher einfach aufhört. Und was soll ich sagen? Der Blick war jede einzelne Anstrengung wert.Wieder unten angekommen, konnte ich mir nicht verkneifen, an der Info süffisant zu bemerken, dass Dänen Treppen offenbar wirklich lieben.
Im Klang gefangen
Kaum wieder festen Boden unter den Füßen, dachte ich: Wenn du schon hier bist, kannst du die Kirche nicht links liegen lassen. Also rein. Kaum saß ich, empfingen mich Orgelklänge und eine Geige – ein wunderbares Zusammenspiel, das mich sofort gefangen nahm. Ich blieb eine halbe Stunde sitzen, lauschte den Proben.
Der Hop‑on-/Hop‑off‑Bus? Geschichte. Ich hatte viel mehr Lust, mich treiben zu lassen, zu schauen, wohin mich der Tag noch führt. Also habe ich mir die Füße plattgelaufen – und es keine Sekunde bereut. Das Wetter war perfekt, und ich fühlte mich einfach großartig.
Impressionen Unterwegs
Zwischen Mittelfinger und Miteinander

Am Nachmittag landete ich am Dante Plads. Und da stand er: dieser überdimensionale Mittelfinger, trotzig in den Himmel gereckt, umgeben von grotesken Schweinehunden. Auf einer Säule thront Dante Alighieri, der große Dichter, mit erhobenem Haupt. Was für ein Bild! Es provoziert, es verwirrt – und es stellt die Frage, die mich sofort packte: Wie gehen wir mit den Konflikten unserer Zeit um?
Der Künstler Jens Galschiøt nennt sein Werk „Fuck Double Morality“. Es ist ein Protest gegen die geplante Tiefgarage unter dem Platz. Aber ist der ausgestreckte Mittelfinger der richtige Weg? Bringt er uns weiter – oder treibt er uns nur noch tiefer in unsere Fronten?
Genau das macht diese Skulptur so spannend: Sie ist ein Spiegel. Jeder sieht etwas anderes darin. Die einen erkennen ein Symbol des Widerstands gegen Kommerz und Klimavergessenheit. Die anderen sehen einen Affront, eine Provokation, die den Wunsch nach Mobilität verhöhnt. Und dazwischen stehen wir alle – Bürger, Stadtplaner, Autofahrer, Radfahrer – mit unseren Geschichten, Bedürfnissen und Ängsten.Was wäre, wenn wir einfach hinschauen, zuhören und verstehen wollten? Den Autofahrer, der Angst hat, seine Freiheit zu verlieren. Den Klimaschützer, der um die Zukunft seiner Kinder bangt. Die Anwohner, die keinen zusätzlichen Lärm ertragen wollen. Wir müssen nicht derselben Meinung sein – aber wir müssen Respekt füreinander bewahren und dialogfähig bleiben.
Ich blieb lange in dem Restaurant mit Blick auf die Skulptur sitzen und dachte darüber nach. Der Tag lief wieder einmal ganz anders als geplant – und war großartig. Ich liebe es, mich treiben zu lassen, die Dinge passieren zu lassen. Mal sehen, wohin mich der morgige Tag führt.




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